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22.08.2024 | Nadine Leister

Perspektivwechsel

Menschen im Rollstuhl, mit Sehbehinderung oder Hörgeräten sehen die Kinder der Integrativen KITA Flohkiste fast täglich. Immerhin teilen sie sich Haus und Garten, in dem sie teils gemeinsam spielen, essen und schlafen. Doch, so fragten sich die Erzieher:innen, wissen sie auch, wie es sich anfühlt, nicht laufen, sehen oder hören zu können? Das wollten sie ausprobieren und dabei prüfen, wie behindertengerecht ihre Kita wirklich ist.

Im September ging’s los. Mit Schlafmasken über den Augen, Ohrenschützern, im Rollstuhl oder auf Krücken mussten sie nun lernen, im Alltag zurechtzukommen. Wie finde ich die Marmelade auf dem Frühstückstisch, wenn ich nichts sehe? Wie erkläre ich meinem Gegenüber, dass ich nichts verstehe, weil ich taub bin? Was kann ich tun, wenn ich mit Gehhilfen vor einer Treppe oder im Rollstuhl vor einem Schotterweg stehe? Mit ein bisschen Glück ertasten sie die Marmelade auf dem Tisch, werden durch Mimik und Gestik verstanden oder haben starke Arme, um auch mit Gehilfen die Stufen hinaufzukommen oder mit dem Rolli über den Schotterweg zu fahren. Einfacher, das merkten sie schnell, ist es, wenn der Weg gepflastert ist, ein Fahrstuhl bereitsteht und andere einem das Marmeladenglas reichen.

Um das ganze Erfahrungsspektrum einzufangen, verließen sie die Kita, bewegten sich in der Nachbarschaft mit Rollstuhl oder Gehhilfe. Dabei achteten sie nicht nur auf die Wege, sondern auch auf die Blicke der Leute. Sind sie freundlich, offen, ausweichend oder ablehnend? Am 27. September begingen sie den Tag des Perspektivwechsels. Nach mehreren Wochen Erfahrung konnten sie nun auch die Frage beantworten, ob ein Leben mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen schrecklich ist oder trotzdem schön sein kann. Eines haben sie ganz sicher gelernt: Ob das Leben schön ist oder nicht, hängt nicht zuerst von den Sinnen und Fähigkeiten ab, die man einsetzen kann, sondern vom Verständnis und der Hilfsbereitschaft der Mitmenschen. Wobei die beste Hilfe die Hilfe zur Selbsthilfe ist.